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In China ist Live Shopping längst zum Standard beim Online-Einkauf geworden. Auch für Europa und Deutschland bietet der Trend viel Potenzial. Elena Gatti, Managing Director Europe bei Azoya, erklärt, was Händler beachten müssen.


In Sachen Social Commerce ist China dem Westen um Längen voraus. Asien ist Vorreiter bei der Idee, sich auf Social Media-Kanälen nicht nur inspirieren zu lassen, sondern Waren auch dort einzukaufen. Ein besonderer Clou ist das Shoppen in Echtzeit via Live Streaming: Fans einer Marke können einer Person dabei zusehen, wie diese selbst einkauft oder Waren testet.


Das Prinzip könnte auch in Europa und Deutschland zum Einsatz kommen. Vor allem den wegen der Corona-Pandemie schwer getroffenen Einzelhandelsgeschäften in der Innenstadt könnte Live Shopping wieder mehr Aufmerksamkeit bescheren. Denn Shopping-Streams in China sind nicht selten auch in stationären Läden entstanden.


Obwohl man auch hierzulande weiß, dass ein strategischer Fokus auf den Kunden und dessen Wünsche die Conversions steigert, fristet Live Shopping in Deutschland eher noch ein Schattendasein.


Und das, obwohl sich auch in Deutschland Kundenbeschwerden häufen - zum Beispiel, weil die Waren nicht wie auf den Produktbildern aussehen oder Fotos nicht ausreichen, um vom Produkt vollends überzeugt zu sein. Mit Videos könnten Händler hier Abhilfe schaffen und individuelle 3D-Produktvorführungen zeigen, in denen andere Personen stellvertretend für den Kunden die Ware anschauen, berühren und testen.


Vorreiter Alibaba


Alibaba hat als erstes chinesisches Unternehmen diese Art des Shoppens für sich entdeckt und damit einen Nerv bei chinesischen Verbrauchern getroffen. In einem so großen Land wie China, wo es ein Überangebot an Waren gibt, ist eine Entscheidungshilfe beim Kauf wichtig. So können Chinesen ein für sie individualisiertes Angebot zusammengestellt bekommen. Alibaba, das für sein Live Streaming die Plattform "Taobao Live" entwickelt hat, beschreibt diese Form des Shoppings auf seinem YouTube-Kanal als eine Mischung aus QVC, Facebook Live und einer E-Commerce-Plattform. Aber wie sieht Teleshopping 2.0 genau in China aus? Einblicke in diese Shopping-Welt gibt eine Expertin für E-Commerce in China.


Elena Gatti, Managing Director Europe bei Azoya, ist der Ansicht, Teleshopping-Sender wie QVC haben eigentlich wenig mit den neueren Plattformen fürs Live-Shopping gemein. Im Fernsehen käme es eher auf die "passive Berieselung" an. Nicht aber so auf Taobao und Pinduoduo, den beiden meist genutzten Social-Commerce-Plattformen in China. Dort wird immer auf die Interaktion mit dem Kunden gesetzt, dieser steht aktiv im Mittelpunkt.


Denn der Host einer Live Shopping Show führt im besten Fall genau das aus, was sich die Konsumenten wünschen. "Halten Sie bitte das T-Shirt ins natürliche Licht", "Würde das T-Shirt auch zu einer Jeans passen?" oder "Wie fühlt sich der Stoff an?". Solche Fragen kommen bei derartigen Events häufig vor. Gatti erklärt: "Das Live Shopping ähnelt eher einem Einkaufsbummel mit Freunden oder mit Leuten, die ähnliche Kaufinteressen haben wie ich."


Originalität und Authentizität ist Chinas Konsumenten wichtig


Dabei wäre es kein Schaden, wenn diese Live Streams ein wenig "unbeholfen" daherkämen. Bei Live-Produktvorführungen in China müsse nicht immer alles perfekt und fehlerfrei ablaufen, sagt Elena Gatti von Azoya. Das A und O sei Authentizität. In China gebe es sogar Landwirte, die über Live Streaming mit ihren Kunden kommunizieren und diesen direkt zeigen, wie beispielsweise das Gemüse vom Feld geerntet wird.


Diese Art von Einkaufserlebnis entspricht den Kundenbedürfnissen in China. Dort hatten die Konsumenten viele Probleme mit Fake-Produkten, weswegen sich die Kunden mehr Qualität und Authentizität bei den Produkten wünschen. Sie wollen mit dem Händler - am besten noch mit dem Hersteller selbst - Gespräche führen und wünschen sich, dass individuell auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird.


Produktempfehlungen basieren nicht auf Algorithmen


Elena Gatti nennt weitere Gründe, warum Chinesen diesen Shopping-Trend so lieben. Ein Grund ist die Größe des Landes mit unterschiedlichsten Klimazonen und Kulturen. "Chinesische Kunden fragen sich vermehrt: 'Was passt eigentlich zu mir? Welche Hautcreme nutze ich zum Beispiel am besten für meinen eigenen Hauttyp?' Um das beste Produkt zu finden, müssen sich die Chinesen aber auch mehr als wir auf Empfehlungen von Freunden und Bekannten und eben auch Fremden aus dem Internet verlassen können. Der Grund dafür ist, dass Algorithmen, die einem bei uns Produkte vorschlagen, in China noch nicht so weit entwickelt sind. Individuelle Produktempfehlungen geben dort noch reale Personen."


Außerdem käme es ja nicht nur auf den Kauf selbst an. Viele chinesische, aber auch europäische Nutzer surfen oft stundenlang im Internet, bis sie das in ihren Augen beste Produkt gefunden haben. Da ist es, um Zeit zu sparen, oft praktischer, sich ein Video anzuschauen, in dem die genauen Details einer Ware geschildert oder in Aktion sichtbar werden. Für viele Chinesen hat das sogar einen Unterhaltungswert - beim Weg zur Arbeit etwa.


Auch die direkte Interaktion mit einem Mitarbeiter und die Service-Leistung schätzen chinesische Konsumenten sehr. Was im Geschäft funktioniert, also das Vorführen der Waren, kann auch im Internet funktionieren.


Wie müssen Verkaufsvideos von morgen aussehen und was daran verleitet Kunden zum Kauf? Elena Gatti gibt Ratschläge, was sich Händler von chinesischen Verkaufsvideos abschauen können.


Unterschiedliche Arten von Hosts


Zunächst sei es wichtig, ob man einen "KOL" oder einen "KOC" als Host wählt. Ein KOL, ein Key Opinion Leader, ist ein anderes Wort für Influencer. Dieser hat auf Social Media eine sehr hohe Reichweite und ist meist auch jenseits von Social Media bekannt. Er geht Partnerschaften mit Marken ein, die dessen Reichweite für werbliche Zwecke nutzen wollen. Es kann dabei aber auch vorkommen, dass dieser Influencer die Marke noch gar nicht kennt und sie noch nie am eigenen Leib getestet hat.


In China gibt es deswegen auch noch die KOC, die Key Opinion Consumers, also Konsumenten, die ein besonderes Verhältnis zum Produkt haben, da sie selbst Kunden sind und daher das Produkt bereits ausgiebig selbst getestet haben. Diese sind zwar weniger bekannt, ihre Glaubwürdigkeit und auch ihr Customer Engagement sind allerdings höher als bei KOLs. Denn sie sind wahre Experten für ein bestimmtes Produkt. Es wäre sogar denkbar, dass Verkäufer des lokalen Geschäfts diesen Part übernehmen können, schließlich kennen sie sich sehr gut mit allen Waren vor Ort aus.


Elena Gatti nennt hier ein Beispiel aus Australien. Dort hat eine Online-Apotheke einen Live Stream veranstaltet. Eine junge Apothekerin gewährte Einblicke hinter die Kulissen des Warenhauses und trat in einen Dialog mit den Konsumenten.


Es käme aber bei der Entscheidung für einen KOL oder einen KOC immer auf das Ziel des Händlers an. Will ein Händler mit seinem Produkt Neukunden anwerben, dann empfiehlt sich eine sehr bekannte Person. Geht es mehr um die Bindung zu einer bestehenden Kundschaft, kann man auch auf weniger teure KOCs setzen.


Was aber niemals fehlen darf, so Gatti, ist eine informative Art und Weise der Produktpräsentation. Der Kunde soll mit all seinen Fragen über Chat-Funktionen mit den Unternehmen interagieren können. Des Weiteren empfiehlt Elena Gatti, solche einmaligen Shopping Events immer mit zeitlich befristeten oder anders limitierten Rabattaktionen zu verknüpfen, um den Kunden schneller zum Kauf zu bewegen.


Auch Europa holt auf


Gatti stellt aber auch in Europa eine Entwicklung hin zu mehr Social Commerce fest. Wichtig hierbei sei das Voranschreiten bei der Integration von Online Shops und Payment-Optionen auf Social Media-Plattformen. Instagram hat in den USA bereits einen Check-Out für die Instagram Shops. Hier wird der Kaufvorgang dann auch auf Instagram abgewickelt und es muss nicht auf den Online Shop verwiesen werden. Wenn diese Funktion auch hierzulande startet, können Instagramer und Influencer direkt bei sich im Profil Produkte präsentieren und zum Kaufen einladen.


Einige große Brands haben sich bereits an den Trend des Live Streamings aus China herangewagt und durchweg positives Feedback erhalten. Das Streaming lässt sich über Instagram Live einfach und ohne viel Aufwand umsetzen. Wenn man schon seine eigene Website inklusive Online Shop hat, kann man selbstverständlich auch dort Live Streams veranstalten. Dort kann man das Sortiment zeigen und den Zuschauern erlauben, während des Streams Fragen zu stellen.


Orsay, Dior, flaconi


Orsay hat das in ähnlicher Weise auf Instagram umgesetzt:


So haben Orsay-Kunden auf der eigenen Website eine Live-Video-Übertragung sehen können. Da die Zuschauer schon auf der Seite waren, wurden diese gleichzeitig über Rabatte zum Kauf im Online Shop motiviert. Flankiert wurde die Aktion mit weiteren Social Media-Aktivitäten.


Dior hat gezeigt, wie man sich und seine neue Kollektion auf TikTok präsentieren kann. Dafür gab es reichlich Lob. Auch der deutsche Online-Pure-Player und Beauty-Produktanbieter flaconi nutzte das neue Shopping-Format für sich und holte sich für eine Live Shopping Show den Influencer und Make-Up-Artisten David Jacobs ins Boot.


Apropos Influencer: Gatti glaubt, dass auch Europäer den unbekannten Verkaufsberater im Shop Prominenten vorziehen würden. In China sei der Trend sichtbar, dass nicht unbedingt entscheidend ist, wie viele Follower man habe, sondern, dass man als ausgewiesener Experte in seinem Bereich gelte. Verbraucher wollen authentische Charaktere, die einen nicht aufgrund von Marketingvorgaben zu einem Kaufverhalten beeinflussen wollen. Ihnen liegt viel mehr daran, echte Fans einer Marke oder eines Produkts kennenzulernen und sich mit diesen über deren Erfahrungen auszutauschen.

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